Ellen Wagner:
Ein Hort für die Herde
Ein Hort für die Herde
Es gibt diese tragisch-magischen Momente, in denen man vor dem Bildschirm trauert, weil die letzte Sekunde der aufreibenden Geschichte vergangen und somit die letzte Chance dahin ist, Teil ihres Universums zu werden: ein Seminar in Hogwarts zu besuchen; Pirouetten am Tanzkonversatorium in Pittsburgh zu drehen; als Nachwuchs eines Geheimdienstes oder Shaolinordens ausgebildet zu werden. Um exklusiv und exzellent zu einer kleinen Gruppe der Besonderten dazuzugehören, kann man sich im echten Leben kompensatorisch bei einer Casting-Show bewerben. Oder besser noch: an einer Kunsthochschule.
Bestanden, endlich drin, dabei, erfolgreich beworben = auserwählt? Jan Berger heißt Bewerber*innen an seiner im Sandbox-Game „Minecraft“ zu besuchenden Akademie „Mythical Institution“ willkommen. Mit einem knapp ausgefüllten Formular kann man hier sein Glück versuchen. Öffentliche Vorträge, so informiert die Website, gibt es dagegen nicht. Architektonisch ist die luxuriöse Anlage von elitären Kunstinstituten inspiriert. Zudem wartet sie mit einem Heckenlabyrinth auf, das angeblich vormals dazu diente, die guten von den schlechten Künstler*innen zu trennen. Wer nicht mehr herausfindet, hat sich selbst disqualifiziert. Berger hat in seiner digitalen Welt das Ideal der Intransparenz hinsichtlich der Zugänglichkeit von Kunst- und Bildungsinstitutionen perfektioniert. Die Architektur ist rechtwinklig. Mit Marmortextur verzierte Pfeiler stemmen sich in rustiziertes Mauer-Pixelwerk, das Wehrhaftigkeit nach innen wie nach außen ausstrahlt. Vergitterte Oberlichter schaffen dekorative Licht-Effekte und klar strukturierte Ausblicke, als sei die repräsentative Fassade allegorisch nach innen geklappt. Tatsächlich erscheint es ziemlich clever, wenn die Institution ihre Schauseite auf die sich in ihnen Bewegenden selbst ausrichtet, werden diese doch nach ein- bis zweijähriger Prägung durch das Haus zu ihren besten Aushängeschildern und „Studierte bei“-Gesichtern.
Im Austellungsraum „an outlook“ der Institution vereint die erste Schau „Le Grand Trampolage“ acht Künstler*innen-Avatare. Die „avatarische“ Kunstproduktion hat dabei vor allem zwei Vorteile: die Anonymität der Kunstschaffenden und die Möglichkeit, im Digitalen meist auf endlose Ressourcen zurückzugreifen. In beidem scheint das Avatarische ein institutionsreflexives Potential zu bieten, sind es doch oft die Begrenztheit des Produktionsbudgets sowie die Tatsache, dass man als Künstler*in auch einen Rang und Namen, auf dem Markt und in der Community, zu verlieren hat, die manches kühn und kritisch gedachte Konzept in eine brav kanonisierbare Realisierung formatieren.
Wirklich frei von Konventionen und bereits Bekanntem scheint hier jedoch zunächst niemand zu agieren. Einen in Bezug auf das Spiel ortsspezifischen Ansatz verfolgt Mila Slominsky. Sie stellt einen phallischen Turm, der kontinuierlich „Diamond Pickaxes“, also die im Spiel zum Rohstoffabbau verwendeten Pickel in hochwertiger Luxus-Version, ausstößt, einer Felsspalte gegenüber, die aus einem Rinnsal immer neue Menschen- und Tiergestalten hervorspült, ja geradezu gebärt. Dies wirkt in der geschlechtlich konnotierten Dichotomie etwas stereotyp, fast niedlich, aber absurd genug, um die produktive oder destruktive Ziellosigkeit des Abbauens, Auswerfens und Empfangens mineralischer und organischer Natur in Szene zu setzen. Im Prinzip verweist Slominsky schlicht auf das, was da ist, an Ressourcen für Bildwelten, und versetzt diese in einen fast meditativen Leerlauf. Wie die schlaffe Katze, scheinbar so tot wie lebendig, aus der Quelle getrieben wird, fühlt man sich selbst ein wenig wie in einem riesigen Schwimmring eine kontemplative Wasserrutsche hinabschlingern, träge und leicht flau im Magen.
Im Gebäude scheinen die Arbeit häufig einen merkwürdig bunten Post-Minimal-Stil zu reproduzieren. Sie zeigen sich rechteckig, seriell und verschwimmen mit der in würfelförmigen Rastern strukturierten Architektur. Je länger man die streng gefugten Flächen betrachtet, desto mehr erscheinen einem diese als gekachelte Wellness-Spa-Landschaft. Ein Eindruck, der sich mit Sonja Yakovlevas Überführungen ihrer Papier-Cutouts in digitale Pixel-Lingerie mit Pamela-Anderson-Baywatch-Bade-Referenz verstärkt – und gleichzeitig in einem Mix aus populären medialen Bildzitaten und aufreizenden Konsumkörpergardinen zum Kippen bringt. Ein Aufguss zu viel im Badeparadies. Doch der war dringend nötig.
Vielleicht verweist genau diese Stimmung auf jene „post-mythologischen Empfindungen“, von denen im Pressetext die Rede ist. Mythen erklären die Welt, woher man kommt, warum und wer man ist. Sie erstellen dabei auch Genealogien mit legitimatorischer Funktion, nicht selten sind sie mit Kulten und Riten verbunden, die Ein- und Ausschlüsse produzieren. Mythen adressieren den Menschen mit ganzheitlich sinnstiftenden Erzählungen. In „Le Grand Trampolage“ aber stehen Tiere im Mittelpunkt – weniger als zyklisch sich reproduzierende Gefährten, die uns durch ihre Existenz der Intaktheit des Ökosystems versichern, sondern als digitale Stellvertreterspezies, die ein unheimliches Unwesen, eben als Avatare, treibt.
Melanie Bonajo setzt Exemplare vom Aussterben bedrohter Spezies in den Ausstellungsraum, die sich nicht, wie von der Künstlerin im Hinterkopf erdacht, in promisker Hybridität zu tausend neuen Spezies vermehren, sondern schlicht – Kunst anschauen. Auch dies sei ihnen gegönnt. Philip Ullman schafft eine flackernde Lichtatmosphäre über einem scheinbar rote Funken sprühenden, mit Blumenkübeln gesäumten Parcours, der ein wenig zwischen Gedenkstätte und Laboranordnung oszilliert. An der Wand überstrahlt eine von Blüten umkränzte weiße Maus, die soeben eine Bluttransfusion erhält, die Szenerie, wie eine gottgleiche Gestalt, die die Spielfiguren der Menschen auf ihrem Weg durch das angedeutete Labyrinth am Boden überwacht.
Vielleicht können wir uns durch avatarische Kunstproduktion selbst in eine Versuchsanordnung begeben, die andere Identitäten und Ressourcen bereitstellt als diejenigen, die wir gewohnt sind, im bekannten institutionellen Rahmen zu benutzen und auszustellen. Die „Mythical Institution“ zeigt, dass dies noch lange nicht bedeutet, automatisch frei von Insider- und Outsiderlogiken zu denken. In der Ausstellung „Le Grand Trampolage“, deren Titel auf ein federleichtes Abheben ebenso anspielt wie auf die mögliche Invasion einer trampelnden Herde in die Institution der Kunst, gewinnen nun ausgerechnet Tiere die Oberhand, die von Menschen programmiert wurden, aber irgendwie ziemlich störrisch nicht viel mehr tun, als einfach da zu sein oder sich lässig aus der Institution hinausschwemmen zu lassen. Leise scheint sich die Frage zu stellen, ob und wie wir es als Angehörige der Spezies „art people“ überhaupt aus eigener Kraft schaffen können, aus der Institution herauszufinden, wenn wir doch stets versuchen, in sie hineinzugelangen.